Ben-Mercier-Barclays

Benjamin Mercier ist verantwortlich für Digital Analytics bei der Londoner Bank Barclays. Vor 10 Jahren begann er seine Karriere, als er beim Start der Kleinanzeigen-Site Vivastreet mithalf. Danach arbeitete er als Consultant für zwei verschiedene Analyse-Unternehmen (eines davon AT Internet!) in Frankreich und England. Stark von der angelsächsischen „datengetriebenen“ Kultur beeinflusst, übernahm er die Führung der Digital Analytics Abteilung bei Barkleys mit ihren ca. 10 Webanalysten und Consultants. Für Benjamin ist Big Data nicht nur ein vorübergehender Trend – es ist ein Konzept, das gemeistert werden muss, bevor man sich sinnvoll darüber unterhalten kann.

Der Data Analyst? Benjamin denkt, dass er schon in ein paar Jahren auf der Vorstandsebene ankommen wird. Ein echter Datenexperte also, der hier mit uns einige seine zahlreichen Erfahrungen teilt. Lesen Sie, was er zu erzählen hat!

Dein beruflicher Werdegang ist beeindruckend. Welche wichtigen Punkte haben Dich in Deinen Entscheidungen geleitet?

Mein erstes Abenteuer im digitalen Bereich bei Vivastreet hat es mir ermöglicht ein bisschen von allem zu machen: Marketing, Affiliation, SEO, Ad Serving, … Im Mittelpunkt stand dabei immer die Analyse. Meine ersten Erfahrungen in diesem Bereich waren also sehr positiv.

Ich muss gestehen, dass ich durch meine Zeit in London und New York von Anfang an von der angelsächsischen Kultur eingenommen war. Damals habe ich das „datengetriebene“ Geschäftsmodell entdeckt, in dem man alles permanent hinterfragt und neu bewertet (im Gegensatz zu südeuropäischen Ländern in denen man sich bei den Entscheidungen mehr auf seine Intuition verlässt). Im Zeitalter des Internet, in der ein Konzept fast schon bei seiner Geburt veraltet ist, scheint es überlebensnotwendig zu sein, das eigene Geschäft konstant anzupassen, um den Bedarf erfüllen zu können.

Danach waren es die Aufgaben eines Consultants, die meine Erfahrungen grundlegend geprägt haben. Ich konnte mit den verschiedensten Industrien arbeiten – Finanzen, Einzelhandel, Verlage – und das in mehr oder weniger stark entwickelten Märkten: Vereinigtes Königreich, USA, Russland, Vereinigte Arabische Emirate, Asien, … Die analytische Herangehensweise unterscheidet sich von einem Land zum anderen so stark, dass man viel lernen kann, wenn man in verschiedenen Märkten arbeitet. In all den Jahren und den verschiedenen Projekten konnte ich mich sowohl operationalen als auch strategischen Herausforderungen widmen. Die große Bandbreite an Aufgaben und meine Leidenschaft Analyseprojekte langzeitig zu lenken, haben mich da hin gebracht, wo ich heute bin.

Was sind die Besonderheiten, denen man sich als Analyst im Finanzbereich stellen muss?

Banken haben 2 Möglichkeiten mit ihren digitalen Kanälen direkt Umsatz zu machen: der Verkauf von Finanzprodukten (Kredite, Konten, Versicherungen, Anleihen, etc.) und die Verringerung der operationalen Kosten. Heute verlagern die meisten Banken viele ihrer Angebote ins Netz. Diese digitale Verlagerung kann sehr riskant sein – wenn sie mangelhaft ausgeführt wurde – da sie sich katastrophal auf die Servicequalität und damit auf die Bilanz der Bank auswirken kann. Genau auf diesen kritischen Bereich muss sich der Analyst konzentrieren. Wir müssen systematisch Argumente für eine gute Servicequalität und „P&L“ (Profit and Loss) finden.

Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ein Kunde eine Überweisung online vornimmt anstatt über das Telefon, wird das rein theoretisch als positiv bewertet. Aber für uns (Analysten) bleibt eine fundamentale Frage: Bieten wir auf diesem Kanal auch die gleiche Servicequalität? Beeinflusst das langfristig den Verkauf von anderen Finanzprodukten?

Diese Rahmenbedingungen sind wichtig für jede unserer Empfehlungen, die sich aus den Analysen ergeben.

Der zweite Aspekt, der für diese Branche typisch ist: Jeder braucht eine Bank, egal wie alt er ist, egal welches Geschlecht oder welchen Beruf er hat. Das bedeutet, dass unsere digitalen Angebote (Websites, mobile Apps) für die verschiedensten Zielgruppen relevant sein müssen. Bei Barcleys haben wir deshalb die traditionellen Segmente aufgeteilt um unsere digitalen Angebote besser an sie anpassen zu können. Diese von der Analyse getriebene Targeting-Strategie kommt vor allem bei den Menschen zum Einsatz, die gerade erst anfangen das Internet für Bankangelegenheiten zu nutzen. Das Ziel ist es, sie zu ermutigen unsere Onlineangebote zu nutzen.

Noch ein Aspekt, der für den Finanzsektor wichtig ist: Multichannel-Aktivitäten. Unsere Kunden lassen sich nicht exklusiv online oder offline antreffen. Jeder Kunde kommt über mehrere Kanäle mit uns in Kontakt (Bankfiliale, Telefon, Bankautomat, Website, App). Der Analyse-Ansatz ist hier viel übergreifender als bei der traditionellen Webanalyse. Wenn wir das Multichannel-Verhalten untersuchen, können wir die Kundenbeziehungen verbessern und neue Möglichkeiten für Services aufdecken.

Wie schätzen Sie Big Data ein? Als eine echte Chance? Oder als ein Phänomen, das im Großen und Ganzen eher abstrakt bleibt? 

Ich denke, Big Data ist mehr als nur ein vorübergehender Trend. Man hört eine Menge darüber, weil die Technologien finanziell inzwischen leicht zugänglich sind. Heute können alle Unternehmen ihre Daten dank Angeboten wie Amazon Web Services in der Cloud speichern. Ihnen stehen verschiedene Modelle für die Speicherung zur Verfügung, die die Berechnung von gewaltigen Datenmengen ermöglichen.

Aber andererseits bin ich der Meinung, dass das Phänomen von den Marktteilnehmern missverstanden wird. Für viele von Ihnen klingt Big Data einfach nach „viele Daten, also präzisere Analysen, also höhere Geschwindigkeit dank neuer Technologie“. In der Realität muss man sehr viel weiter gehen um das Basiskonzept der drei großen V (Volume, Velocity und Variety) des Big Data zu meistern. Wir müssen das Phänomen ganzheitlich verstehen und vorher einige wichtige Punkte bestimmen:

  • Strategien und Ziele müssen im Voraus definieren
  • Auf das Wissen der Analysten zurückgreifen um die Anwendungen von Big Data auf den Geschäftsbereich zu verstehen.
  • Technische Expertise nutzen um die Datenformate und ihre Berechnung zu meistern.

Zusammengefasst geht es um die perfekte Beherrschung der potentiellen Verwendungsmöglichkeiten relationaler und nicht-relationaler Datenbanken.

Bei Geldgeschäften und Versicherungen gibt es schon lange Vorhersagemodelle für die Risikoplanung. Bei Barclays testen wir verlässliche Lösungen wie Hadoop, aber diese Projekte stecken erst in den Anfängen. Es gibt noch so viel auszureizen, dass wir lieber progressiv an die Einführung herangehen. Mit anderen Worten: Wir wollen erst lernen wie man geht, bevor wir lernen wie man läuft.

Ich persönlich habe Big Data erst ganz verstanden, als mir der Unterschied zur Business Intelligence klar wurde. Auf der einen Seite stützt sich BI auf die Verhaltensanalyse mittels hochdetaillierter Daten um Chancen, Probleme und Trends für das Unternehmen aufzudecken und die Strategie in Echtzeit zu steuern. Auf der anderen Seite stützt sich Big Data auf das „Gesetz der großen Zahlen“, mit dem man Korrelationen zwischen bestimmten business-externen Faktoren sowie nach Dauer und Kontext definierten Segmenten herstellen kann.

Business Intelligence misst vergangene Ereignisse und zieht daraus Schlüsse um das Geschäft zu verbessern, während Big Data das Verhalten oder Chancen auf Basis von erkennbaren Mustern vorhersagt. Big Data baut also auf Erkenntnissen der BI auf und ist deshalb wertlos, wenn man sein Zielpublikum nicht kennt und keine soliden Ausgangshypothesen hat. Nichtsdestotrotz lassen sich immer Gegenbeispiele wie Walmart in den USA anführen, die Wetterdaten verwenden, um noch schnell den Verkauf von Erdbeertörtchen anzukurbeln bevor ein Wirbelsturm auftritt. Durch Verknüpfung von den Dimensionen „Wetter“ und „Verkäufe“, konnten sie herausfinden, dass der Appetit auf dieses Angebot in der Woche vor einem Sturm bis zu 7mal höher lag als normal. Obwohl es dafür keine echte Erklärung gibt, bietet eine Sturmvorhersage eine gute Gelegenheit, statt Bier Erdbeerkuchen an den Rand der Regale zu platzieren um den Umsatz zu steigern.

Der Datenschutz ist ein aktuelles Thema, das die digitale Welt beschäftigt. Haben Banken eine spezielle Herangehensweise, wenn es um Datensicherheit geht?

Für Banken ist dieses Thema nicht neu. Bei Barcleys haben wir zum Beispiel seit 1992 Daten in unserem Data Warehouse gesammelt. Wir werden von der Regierung, der Europäischen Union und den Finanzbehörden überwacht. Die Privatsphäre ist ein wichtiges Argument, das wir immer hervorheben und es ist immens wichtig für ein Finanzunternehmen.

Ein Beispiel: Apple hat kürzlich ein Notfall-iOS-Update angeboten um ein Sicherheitsproblem bei bestimmten Apps zu beheben. Barcleys war davon nicht betroffen, da wir unser Verschlüsselungssystem bereits verstärkt hatten.

Ein anderes Beispiel: Als wir unser App-Tracking starteten, empfahl uns unsere Rechtsabteilung mehr als nur das gesetzlich Geforderte –  zum Beispiel den Opt-Out als Standard festzulegen.

Wenn es um Datensicherheit geht sind wir extrem wachsam, auch intern. Als Senior Digital Analytics Manager ist es eine meiner Aufgaben eine gute „Data Governance“ zu überprüfen und sicherzustellen. Damit stelle ich sicher, dass kein Mitglied meines Teams persönliche Daten in unser System eingeben oder daraus auslesen kann. Das wird durch strenge Auflagen sichergestellt und jeder einzelne regelmäßig überprüft, ob ihm diese Auflagen bekannt sind.

Wie wird die Rolle eines digitalen Analysten in 10 Jahren aussehen?

Der Beruf eines digitalen Analysten ist eng mit der Entscheidungsfindung verknüpft. Genau dafür haben sich die Analysten stark gemacht. Unternehmen sind heutzutage zu der Einsicht gekommen, dass Daten einer der wichtigsten Faktoren bei der Entscheidungsfindung sind. Deshalb werden Analyse-Abteilungen immer mehr zur Drehscheibe zwischen Sales, Entscheidungsträger, Finanz-Abteilung und dem operativen Geschäft.

Bestimmte Entscheidungsträger in Unternehmen haben heute noch keine „digitale“ Kultur. Aber schon morgen wird die Generation, die in der digitalen Welt aufgewachsen ist, diese Positionen besetzen. Die Analyse wird ihren Sitz in den höchsten Unternehmensebenen bekommen, da Daten nicht dafür gedacht sind einfach nur gesammelt und dargestellt zu werden – sie müssen interpretiert werden. Alle an der Analyse Beteiligten müssen sich immer komplexeren technischen Herausforderungen widmen. Ich denke, dass es uns die Technologie schlussendlich ermöglichen wird, bestimmte Interpretationen zu automatisieren um noch schneller zu Ergebnissen zu kommen. Ich glaube fest daran, dass die digitalen Analysten von morgen immer häufiger in der Vorstandsebene anzutreffen sein werden. Wie Marketing und Operative Leitung werden sie eine eigene Position bekommen, z.B. Chief Analytics Officer.

Gibt es noch weitere interessante Geschichten, die Du uns mitteilen willst?

Ja, wir arbeiten eng mit der BI-Abteilung unseres Unternehmens zusammen um Online- mit Offline-Daten zusammenzubringen und daraus Einsichten für das Management herauszuziehen. Einmal haben wir vor einem Meeting Segmentierungs-Modelle vorbereitet, die jeweils auf unseren Daten basierten. Als wir unsere Ergebnisse verglichen, haben wir festgestellt, dass wir alle das gleiche Modell hatten! Das zeigt wie unsere Berufsbilder immer mehr auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Die Grenzen zwischen digitaler Analyse und Business Intelligence verschwinden immer mehr.

Ein großer Dank an Benjamin, dass er uns für dieses Interview zur Verfügung stand. Benjamin hält im Oktober einen Vortrag auf dem eMetrics Summit in London. Er ist Mitbegründer und aktives Mitglied des Digital Analytics Social Club, den Sie auf LinkedIn finden.

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Editorial Manager Bernard ist verantwortlich für die Contentstrategie der Marke AT Internet. Er hat fast 10 Jahre Erfahrung bei Marketingtexten und als technischer Redakteur für die Softwareindustrie. Als Textspezialist arbeitet Bernard mit vielen verschiedenen Medien, unter anderem Blogs, White Papers, Interviews, Business Cases, Pressetexte, Infografiken, Videos, etc. Seine Spezialgebiete? Natürlich Marketing und Digitale Analyse!

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